Drei Stunden Null: Deutsche Abenteuer by Büscher Wolfgang

Drei Stunden Null: Deutsche Abenteuer by Büscher Wolfgang

Autor:Büscher, Wolfgang [Büscher, Wolfgang]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Germany
ISBN: 9783499236341
Google: 1rhPPQAACAAJ
Amazon: 3499236346
Herausgeber: Rowohlt Tb.
veröffentlicht: 1998-01-01T23:00:00+00:00


Faust eins. Faust zwei

«War is over!» Wenige Kilometer von dem Ort und wenige Stunden von dem Moment entfernt, an dem Joe Hamel und die anderen Kriegsgefangenen diesen Satz hörten, zerbrach ein Mann, dessen strenge, beinahe asketische Züge gut zu seiner kräftigen, beinahe athletischen Gestalt paßten, das Glas seiner Nickelbrille und schnitt sich damit die Pulsadern auf. Drei Tage davor, am 7. Mai, hatte er seinen Chauffeur angewiesen, ihn und zwei Vertraute von Reichenberg nach Westen zu fahren, zur Front, den vorrückenden Amerikanern entgegen.

Der Dienstwagen hatte sich durch Reste deutscher Truppen und durch die Züge der Zivilisten gewühlt, die die Straße nach Eger verstopften, gewiß auch durch Kolonnen von Kriegsgefangenen. Sicher hatten sich viele nach dem auffälligen Wagen umgedreht, hatte mancher den Mann auf dem Rücksitz erkannt. Und vielleicht hatten auch Joe Hamel und die anderen aus der Betty Lou Blicke, kurze Bemerkungen getauscht, als der schwere Wagen aus Reichenberg sie überholte.

In der Nacht auf den 8. Mai, bei Eger, hielten Uniformierte den Wagen des Mannes mit der Nickelbrille an. Als sie ihn abführten, begann er zu begreifen, daß seine Idee, den Amerikanern entgegenzufahren und einmal vernünftig mit denen zu reden und seine alten Verbindungen zur britischen Außenpolitik wieder zu aktivieren – vor dem Krieg, vor seiner Konversion zum Nationalsozialismus, vor seinem bewaffneten Untergrundkampf, vor seinem Aufstieg zum Führer des von Hitler annektierten Sudetengaus hatte er in London, im «Royal Institute of International Affairs», die Aufmerksamkeit Ihrer Lordschaften auf die politische Unterdrückung und die wirtschaftliche Not der Sudetendeutschen im jungen tschechoslowakischen Nationalstaat zu lenken gesucht, das alles in englischer Sprache, hatte Pangermanismus und Panslawismus als Wege in die Katastrophe bezeichnet und für ein vereintes Europa geworben – kurzum, er begriff, daß sein Plan, General Patton entgegenzugehen und ihn zu drängen, das Sudetenland zu besetzen vor den rasch vorrückenden Russen, am besten ganz Böhmen und Mähren zu besetzen und mit ihm, mit dem Reich einen Separatfrieden zu schließen, ein Bündnis gegen Stalin in letzter Minute – er begriff, daß sein Plan leerer Wahn und er selbst niemand mehr war, mit dem irgendwer sprach, geschweige denn verhandelte. Er sah sich verhaftet, als Kriegsverbrecher verdächtigt. Er hörte die Nachricht von der bedingungslosen Kapitulation des Flensburger Restreichs.

Doch, sie sprachen mit ihm. Sie stellten die Fragen, und er hatte zu antworten. Nach dem Verhör in der Villa in Pilsen, wohin sie ihn überstellt hatten, wurde er am späten Abend des 9. Mai in das provisorische Gefangenenlager der Stadt gebracht. Die scharfe Leibesvisitation ließ ihm keine andere Waffe: In der Dunkelheit der Nacht, der Nacht auf den 10.

Mai, nahm er die Brille ab und brach aus dem runden Glas eine Scherbe heraus. Am frühen Morgen bestätigte der ins Badezimmer des Militärkrankenhauses gerufene tschechische Verbindungsoffizier den Amerikanern: Jawohl, der halbnackte Tote mit den verbundenen Handgelenken dort auf der Bahre sei Konrad Henlein, der Gauleiter des Sudetenlandes. Und weil er ein vorsichtiger Mann war, fügte er dem Protokoll hinzu:

«Unter dem Vorbehalt, daß der Betreffende keinen Doppelgänger hat.»

Soviel Vorsicht war unbegründet. Einen Doppelgänger hatte Konrad Henlein nicht, es sei denn einen metaphysischen.



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